Die Lehren des Don Bonivant - Seite4


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30 ~ Gewaltlosigkeit Voraussetzung jeder Friedenspolitik

252. Der Herrscher, der den Ordnungsgesetzen des Alls folgt, sucht nicht die Welt mit Gewalt zu beherrschen; denn er weiß, es fällt alles auf einen selbst zurück.
253. Schlachtfelder erzeugen nur Dornen und Disteln; Kriege bringen nur Elend und Not.
254. Darum steht der Weyse zwar in steter Bereitschaft, aber er erzwingt nichts mit Gewalt.
255. Er kennt nicht Ehrsucht noch Ruhm, masst sich nichts an, strebt nicht nach Macht.
256. Er tut das Notwendige, das Not wendet.
257. Alle seine Entscheidungen sind fern von Gewalt.
258. Er weiß um den Rhythmus des Werdens, weiß, daß alles, was den Gesetzen innersten Lebens widerspricht, zerbricht, daß alles Wesenlose rasch zerfällt.

31 ~ Von der Verachtung äußerer Machtmittel

259. Auch die trefflichsten Waffen sind Werkzeuge des Unheils, der wesentliche Mensch muß sie verachten.
260. Wer um seine letzte Verpflichtung weiß, bedient sich ihrer nicht.
261. Der Edle schätzt im Frieden zwar die gütige Linke, im Krieg aber bedarf er der starken Rechten;
262. doch immer bleiben ihm Waffen Geräte des Unheils, denn sie sind keines Edlen würdig.
263. Nur wenn man ihn zwingt, gebraucht er sie.
264. Doch auch im aufgezwungenen Kampfe bleiben ihm Ruhe und Friede das höchste.
265. Siegt er, so kann er sich nicht freuen; Freude am Sieg wäre ihm Freude am Menschenmord.
266. Wer sich am Hinschlachten der Menschen freut, kann seines Lebens Sinn nicht erfüllen.
267. In guten Zeiten schätzt man die Linke, in schlechten die Rechte, (beide haben ihr eigenes Gesetz).
268. Auch beim Heer bleibt der Unterführer links, der Feldherr steht rechts.
269. So ist es auch Sitte bei einer Leichenfeier.
270. Wenn viele gefallen, das Volk mit Schmerz und Trauer erfüllt ist, geht der rechte Sieger in sich gekehrt an der Seite des Volkes wie bei einer Trauerfeier.

32 ~ Von der Unscheinbarkeit des Unbegreiflichen im Begreiflichen

271. Das Unergründliche ist nie zu ergründen.
272. Unscheinbar ist es, trotz seiner Ursprünglichkeit; die Welt kann mit ihm nichts anfangen.
273. Würden es Fürsten und Könige in sich tragen, alle Geschöpfe würden von selbst zur Huldigung erscheinen; Himmel und Erde würden vor Freude lieblichen Tau spenden, und die Menschen würden auch ohne Regierung geordnet leben.
274. Gewinnt das Unbegreifliche Gestalt, kann es begrifflich erfasst werden.
275. Die Begriffe sind aber nur Hinweise auf das Nichtzubegreifende; man bleibe sich stets ihrer Beschränktheit bewusst.
276. Bleibt man sich ihrer Beschränktheit bewusst, so besteht keine Gefahr.
277. Dann gleicht das Verhältnis des Begreiflichen zum Unbegreiflichen den Bächen und kleinen Seen, die den Strömen und Meeren zufließen.

33 ~ Echtes Gebildetsein überwindet den Tod

278. Klug ist, wer andere durchschaut, weise, wer sich selbst durchschaut.
279. Kraft beweist, wer andre zwingt, Art jedoch, wer sich selbst bezwingt.
280. Willen hat, wer Herr seines Tuns ist, Reichtum aber, wer zufrieden bleibt.
281. Standhaft ist, wer an seinem Platz verharrt, wahrhaft lebt, wer im Tod besteht.

34 ~ Wahre Größe offenbart sich im Dienen

282. O du überströmendes, alles überflutendes Wesenl
283. Durch Dich ist das All.
284. In Dir leben alle Wesen.
285. Du versagst Dich keinem.
286. Du alles wirkende, alles fördernde, alles ernährende Weltenmutter, Du ewige Dienerin des Lebensl
287. Nie strebst Du nach Ruhm.
288. Klein erscheinst Du denen, die Dein anspruchsloses Dienen nicht erfassen.
289. Groß aber bist Du, wenn alle Dinge in Dich zurückkehrenl
290. Und dennoch gebärdest Du Dich nicht als Herrin.
291. So dient auch der Weyse Seyn Leben lang, nie nach Größe fragend, doch Großes wirkend.

35 ~ Unerschöpfliche Fülle wird nur durch Hingabe

292. Wer den Bildekräften schöpferischen Lebens in sich Raum gibt, zu dem kommt das Wesentliche.
293. Es kommt und bleibt in ihm unantastbar, Frieden und stilles Reifen wirkend.
294. Musik und Schaustücke locken nur den oberflächlichen Wanderer.
295. Das Unergründliche reizt und lockt niemanden.
296. Sehen genügt nicht, um es zu schauen.
297. Hören genügt nicht, um es in sich aufzunehmen.
298. Wer aber gehorsam bleibt, der findet seine Unerschöpflichkeit.

36 ~ Vom Wartenkönnen bis zur Reife

299. Was man einengen will, muß man zuvor sich entfalten lassen.
300. Was man schwächen will, muß man zuvor sich erstarken lassen.
301. Was man fallen lassen will, muß man zuvor erhöht haben.
302. Was man nehmen will, muß man zuvor gegeben haben.
303. Das Ausreifenlassen ist ein tiefes Geheimnis:
304. Das Schwache und Biegsame ist immer stärker und widerstandsfähiger als das Starke und Starre.
305. Doch wie der Fisch in seinem Element gelassen werden muß, so muß auch der Herrscher im Bereich dieses Geheimnisses bleiben, wenn er sein Reich fördern will.

37 ~ Wunschlosigkeit und Frieden wirken der Welt Vollkommenheit

306. Im Unergründlichen ist kein Wirken, und doch wirkt das Nichtwirkende alles.
307. Wenn Fürsten und Könige sich ebenso von ihm bestimmen ließen, würde sich alles zum Besten gestalten.
308. Und wenn die Menschen dennoch Wünsche hätten, so würde ich sie durch Herzenseinfalt überzeugen.
309. Herzenseinfalt führt zur Wunschlosigkeit.
310. Wo Wunschlosigkeit ist, ist Friede.
311. Wo Friede ist, ordnet sich die Welt von selbst.

38 ~ Hohe und nledere Formen sittlichen Wirkens

312. Wer aus dem Allgrund seiner Seele lebt, wird sich dessen nicht bewusst; darum quellen die innersten Kräfte unmittelbar aus ihm.
313. Wer aus einem Teilbereich seiner Seele lebt, möchte zwar von innen her wirken, kann es aber nicht; die innersten Kräfte quellen nicht aus ihm.
314. Wer aus dem Allgrund seiner Seele lebt, wird sich seines Tuns nicht bewusst; er kennt kein eigenwilliges Wirken.
315. Wer aus einem Teilbereich seiner Seele lebt, handelt ichhaft; er fragt stets nach Sinn und Zweck.
316. Liebe drängt zwar zum Handeln, aber sucht nichts für sich.
317. Gerechtigkeit drängt auch zum Tun, fordert aber Geltung.
318. Bloße Moral muß ebenfalls wirken; folgt man der öffentlichen Meinung nicht, zwingt sie einen dazu.

Darum erkenne:
319. Wer nicht mehr im Unergründlichen gründen kann, der lebe aus seines Herzens Ursprünglichkeit.
320. Wer seines Herzens Ursprünglichkeit verlor, der lebe aus der Liebe.
321. Wer nicht mehr liebend zu leben vermag, der handle wenigstens gerecht.
322. Wer selbst dies nicht mehr kann, der lasse sich von Brauchtum und Sitte bändigen.
323. Das Abhängigwerden von der öffentlichen Moral ist aber die unterste Stufe der Sittlichkeit, schon Ausdruck des Zerfalls.
324. Wer dann noch glaubt, durch Verstandesbildung einen Ausgleich für die Herzensbildung schaffen zu können, der ist ein Tor.

Darum merke Dir:
325. Der echte Mensch folgt seinem innersten Gesetz
326. und keinem äußeren Gebot;
327. er hält sich an den Quell und nicht an die Abwässer;
328. er meidet diese und sucht immer das Ursprüngliche.

39 ~ Das Einfach-Eine Wurzel aller Vielgestaltigkeit im Sein

329. Alles hohe Seyn ist Ausgliederung aus dem All-Einen, in sich selber wieder eins:
330. Der Himmel erlangte die Einheit, daher seine klare Ordnung.
331. Die Erde erlangte die Einheit, daher ihre Festigkeit.
332. Die geistigen Kräfte erlangten die Einheit, daher ihre Wirksamkeit.
333. Alles Empfängliche erlangte die Einheit, daher seine Erfüllung.
334. Alles Lebendige erlangte die Einheit, daher seine Fruchtbarkeit.
335. Selbst die Herrscher erlangten die Einheit, daher ihre Vorbildlichkeit.
336. Alles ist durch die Einheit bewirkt. Ohne klare Ordnung würde der Himmel wohl reißen.
337. Ohne ihre Festigkeit müsste sich die Erde wohl auflösen.
338. Ohne ihre Wirksamkeit würden die geistigen Gestaitungskräfte wohl versagen.
339. Ohne seine Erfüllung bliebe alles Empfängliche wohl leer.
340. Ohne seine Fruchtbarkeit müsste alles Lebendige wohl vergehen.
341. Ohne ihr vorbildliches Wirken würden die Herrscher wohl gestürzt werden.
342. Der Weyse weiß, daß alles Edle im Einfachen wurzelt, daß alles Erhabene sich auf Niedrigem aufbaut.
343. Daher betrachten sich auch die Fürsten und Könige als hilflose, verlassene und geringe Diener, wissend, daß auch sie im Einfach-Einen gründen.
344. Oder stimmt es nicht?
345. (Alles muß in seiner wesenhaften Einheit bleiben:) Wer einen Wagen zerlegt, hat keinen Wagen mehr.
346. Wer wie ein Edelstein glänzen will, ist nicht echt und fällt doch nur, gleich einem gewöhnlichen Stein, tönend herab.

40 ~ Der Kreislauf des Werdens

347. Was sich aus dem Urgrund erhebt, kehrt in den Urgrund zurück.
348. Gelassen wirkt das Unergründliche.
349. Aus dem Allgrund des Seyns wallen die Wesen zum Leben.
350. Aus dem Allgrund des Nichtseyns erhebt sich das Seyn.

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